Fühmann, Franz. – WOLF, Christa: Über Franz Fühmann. Grabrede. (Schreibmaschine mit handschriftlichen Korrekturen, zeitgenössische Kopie). Berlin/DDR. (1984). (ca. 29,8 x 21 cm). 8 S. Redemanuskript, maschinengeschrieben, mit Deckeltitel. Zeitgenössische Kopie. Papier am oberen Rand etwas gebräunt. Kopie beschneidet Text am rechten Rand minimal, sonst gut erhalten.

Christa Wolf schrieb eine sehr persönliche Grabrede auf Franz Fühmann im Sommer 1984. Der lange Text wurde erst 1986 im Verlag Hoffmann & Campe veröffentlicht. Hier liegt das Redemanuskript vor mit den handschriftlichen Korrekturen der Autorin. Es handelt sich um eine zeitgenössische Kopie, welche damals an eine Fühmann freundschaftlich eng verbundene Buchhändlerin in Westberlin übergeben und dupliziert wurde aus der für seine Aktivitäten in Westberlin und der damaligen BRD wichtigen Autorenbuchhandlung (Carmerstraße, Berlin-Charlottenburg). Wolf schrieb darin eingangs: „Die Stimme von Franz Fühmann hörte ich zum letzten Mal genau eine Woche vor seinem Tod. Es war ein Sonntagabend, es war eine fast unveränderte Telefonstimme, es war – wie nenne ich es – ein normales Gespräch unter Freunden, von denen aber der eine gesund, der andere krank war. Es war von seiner Seite auch ein leidenschaftslos, ohne Selbstmitleid gegebener Bericht von seinem Ergehen in den Wochen davor […]“. Später heißt es: „In diesen wenigen Tagen, seit er starb, und seit ich ihn unaufhörlich lese, habe ich ihm nicht die Ehre der Genauigkeit antun können, die er Trakl erweist, indem er dessen häufigste Worte anführt und zählt. Doch will ich es wagen, diejenigen Worte zu nennen, die ich für seine wesentlichen halte: es sind dies: Wandlung. Wahrheit. Wahrhaftigkeit. Ernst. Würde.“ Die übergebene Typoskriptkopie beinhaltet viele Korrekturen von Christa Wolf: neben kleinen Änderungen sind oft ganze Worte ersetzt oder halbe Sätze gestrichen worden. Sie ermöglicht dadurch einen Einblick in die Arbeit an der langen und genauen Grabrede auf den Freund. Zum Abschluss ihres Redetexts zitiert sie einen seiner späten Briefe: „‚Wenn du in die Mythologie sinkst,‘ schrieb er, ’dann begegnest Du sicher dem Prinzen Hyppolitos, der hat sein Leben der Artemis geweiht, dieser schrecklichen Jungfrau, der Jägerin, und hat darüber Aphrodite zu dienen versäumt, und die rächt sich nun. … Hyppolitos liegt am Schluß im Sterben, und nun hat er nur einen Wunsch: Die, der er sein Leben geweiht, seine Göttin, Artemis, die leichtfüßige Schweiferin, möge ihm in der Sterbestunde sich zeigen, und das tut sie auch, aber um zu sagen: I gitt, du stirbst ja, das ist nichts für mich, schon der Anblick von so einem verunreinigt mich; und sie haut ab. Irgendwie gehts einem mit dieser Scheiß-Literatur so. Man kriegt Briefe, was man da geleistet habe (so wie sich um den Hyppolit das erlegte Wild häuft), aber das ist alles Papier für Papier, und die Göttin erscheint nicht, und täte sie’s, sagte sie sicherlich auch: ‚I gitt‘. ‚Lieber Franz‘, erwiderte ich ihm. ’Vorausgesetzt, daß Europa nicht in den nächsten Jahren in die Luft fliegt: Das wichtigste ist doch, was wir schreiben. Mach doch bloß dein Bergwerk. Die Artemis, die Jägerin, ist doch nur in der männlichen Ausdeutung eine ‚schreckliche Jungfrau‘ […] Und wenn die Göttin nicht herbeigezwungen, sondern auf die rechte Weise herbeigesehnt und -gewünscht wird, und sei es in der Sterbe- oder Schreibestunde, dann kommt sie ganz selbstverständlich, leichtfüßig und wohlgesonnen, und was sie sagt, ist keineswegs: I gitt. Sondern: Na, Alter, immer noch nicht klüger geworden? Und dann lächelt sie auf ihre unnachahmliche Weise, und … dann hörst du sie atmen, und alles läßt sich machen. So wird es sein.’ Ob es so war? Wie ich es ihm wünsche. Ob es so sein wird? Was wissen denn wir. Wie sagte doch Franz Fühmann, eine Gedichtzeile Georg Trakls umkehrend: ‚Die Sonne ist das, was keiner begräbt.‘“ Die zeitgenössische Typoskriptkopie stammt aus dem Nachlaß jener einstigen Lieblingsbuchhändlerin Franz Fühmanns.

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• Kategorie: Belletristik A – Z
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